Wer bin ich, und was will ich hier?
Im Überfluss sucht der Mensch nach dem Sinn des Daseins, das er im Erlebnis zu finden glaubt
Essay von Gerhard Schulze
Auszug:
Im Lauf der Modernisierungsgeschichte ereignet sich eine heimliche Sinnverschiebung. Das Steigerungsspiel wird von einem habens- und könnensgerichteten Projekt zu einem seinsgerichteten, und damit zu einem Widerspruch in sich selbst. Mit der Entstehung der Erlebnisgesellschaft begann die Idee der Steigerung sich ins Subjektive zu wenden. Eine Form der Rationalität, die zur Optimierung von Maschinenleistungen taugt, sollte nun auch zur Optimierung von Gefühlen, Erlebnissen, Eindrücken, Einsichten, Projekten der Selbstverwirklichung, ästhetischen Ereignissen und körperlichen Empfindungen herhalten. Aber die Steigerungslogik verfehlt ihr Thema, wenn Selbsterkenntnis, Annäherung an Werte, Ankunft und Verweilenkönnen gefragt sind. Sie täuscht Kalkulierbarkeit und Objektivität vor, wo es um die reflexive Entfaltung des Ich geht. Die Steigerungslogik entfesselt die Verschiedenartigkeit der Menschen, aber sie kann ihr nicht gerecht werden. An die Stelle von Sinn tritt eine Sinnillusion - die bloße Vermeidung von Desorientierung.

Wer in seinem Leben nichts erlebt, hat nicht gelebt, so lautet wohl - verkürzt - die Leitthese.
Freitag, 10. Oktober 2003, 20:05, von frisbee | |comment


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