Illusion
Es gibt keine größere Illusion als die Meinung, Sprache sei ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen.
Elias Canetti
Montag, 3. November 2003, 23:32, von frisbee | |comment

 
Sprache = gesprochenes Wort?
Ich verstehe auch das geschriebene Wort als Sprache und dann kann ich dem Zitat nicht zustimmen.
Beim gesprochenen Wort könnte ich mit viel Mühe zustimmen.

Andererseits transportiert Sprache nur die Meinungen, man könnte also ganz abstrakt sagen, dass Sprache selbst nicht unmittelbar der Kommunikation dient. Aber wenn ich soviele Umstände machen muss, um ein Zitat zustimmen zu können, neige ich eher dazu, es als entweder nicht vollständig, oder aber unsinnig abzutun...

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Es mag schon etwas provokativ klingen, zumal Canetti diesen Aphorismus sehr wissend, von der Kanzel herab formulierte.

Er meinte sicherlich Sprache und Sprechen und aus meiner Sicht ist schon was dran, dass Verstehen immer nur mit Bezug auf die eigene Abbildung des Gehörten/Gelesenen ablaufen kann und zumindest ein 1:1-Verständnis nicht möglich ist.

Solche Statements ,mit aphoristischer Schärfe gewürzt, bringen einen dazu, den eigenen Standpunkt zu überdenken. Das finde ich ganz fruchtbar dabei.

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Naja, eine Kommunikation muss ja nicht immer Verständigung als Ergebnis haben. Das ist das, was mich an dem Zitat stört. Das kann aber auch an der Übersetzung liegen - ich nehme an, das Zitat ist im Original nicht in Deutsch, oder?
Vielleicht gibt es das Wort, welches hier mit "Kommunikation" übersetzt wurde, im Deutschen garnicht?

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Canetti schreibt schon auf deutsch, ist keine Übersetzung
Einige Passagen mit Bezug auf das Werk "Blendung": sie machen es vielleicht deutlicher, wie er es versteht.

1.


2. Jeder Mensch besitzt seine eigene Sprache: Die Meinung, Sprache sie ein Mittel der Kommunikation zwischen den Menschen, ist eine stark verbreitete Illusion. Selten dringt etwas durch Sprache oder Worte in den anderen ein. Und wenn, dann etwas Verkehrtes. Die Wirkung von Worten ist nicht kontrollierbar. Worte sind lediglich eine unberechenbare Quelle von Energie. Sie löst etwas aus wie einen Steinschlag in einem unbekannten Gelände. Keiner kennt dieses geistige Gelände des anderen gut genug, um eine genauere Wirkung von Worten darin abschätzen zu können.

3. Jeder Mensch hat eine "akustische Maske": Sie zeichnet jeden Einzelnen einmalig aus, indem sie unverwechselbar und dauernd ist. Man findet sie, indem man einem Gesprächspartner einfach nur zuhört, ohne zu versuchen zu verstehen, was er sagt, ohne danach zu forschen, was er meint. Man muss versuchen, einfach nur auf das Äussere seiner Worte zu achten. Dann entdeckt man seine sprachliche Physiognomie, die er nur für sich allein hat und die mit ihm vergehn wird. Sie hat ihre eigene Tonhöhe, ihre eigene Geschwindigkeit und ihren eigenen Rhytmus. Jeder einzelne Mensch ist in seinem Sprechen eine Gestalt geworden, die sich nach allen Seiten hin deutlich abgrenzt und von allen übrigen Menschen verschieden sein will. Der rational-vernunftbezogene Verständigungsaspekt wird hinter dieser Maske zweitrangig und kann sogar völlig nebensächlich werden. Die akustische Maske ist Canetti nach etwas, das sich am Menschen nicht wandelt - auch wenn vieles sonst sich wandeln mag. Ihre Macht besteht darin, dass man sie genau kennt, ohne je zu wissen, was sie enthält. Das macht einen Teil ihrer Bedrohlichkeit aus und schafft einen Abstand zwischen den Menschen, begünstigt aber damit auch ihre Isolation.

4. Jeder Mensch hat seinen eigenen Traum oder - besser gesagt - seinen eigenen Privatmythos: Von diesem persönlichen Mythos wird man triebhaft beherrscht und unterscheidet sich - vor allem anderen - genau darin von anderen. Wenn Menschen aufeinander treffen kann man sicher sein, dass ihre Privatmythen aufeinander treffen. Sie machen die Menschen blind für einander. In ihrer "Blendung" (Titel des Romans) durch ihren jeweiligen Privatmythos verstehen die Menschen einander nicht, weil sie jede Äußerung des anderen letztendlich auf diesen Kern ihrer Existenz beziehen. Die Sprache, die sie darin benutzen, ist kein Mittel der Kommunikation, sondern ein Ausdruck eines monologisierenden verbalen Leerlaufs. Letztendlich gilt sogar: in einer übersteigerten Form ist das zwischenmenschliche Verständnis häufig daran gebunden, dass sich die Menschen untereinander - rein verbal - missverstehen.

Danke für die Diskussion, Dirk + Gute Nacht!

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