Samstag, 11. Oktober 2003
Spätsünder
Julian Schütt schreibt in der Weltwoche über Altherrenerotik.
Sie sind selber schuld, wenn man ihnen zu nahe tritt. Ja sie provozieren es geradezu, von Günter Grass (75) über Martin Walser (76) bis zu Adolf Muschg (69) und Botho Strauss (59). Dieser Bücherherbst zeichnet sich dadurch aus, dass die namhaften deutschsprachigen Schriftsteller den Frühling spüren. Unverblümt ausgedrückt: Die Gestandenen müssen nochmals ihr Stehvermögen beweisen, auf literarischem Niveau zweifellos, doch unter der Gürtellinie. Es ist die Saison der Altherrenerotik. Höchste Zeit, den Bock einmal bei den Hörnern zu packen.


Ein versteckt spöttischer Abgesang, der mit den Worten schließt: Wir können uns nur wiederholen: Altherrenerotik ist, wenn der Schuss hinten hinausgeht.
Durch den Rückenmarkskanal hoch und im Kopf explodieren lassen, tantrisch eben. ;-)

Von frisbee um 11:45h| 2 Kommentare |comment
 

Freitag, 10. Oktober 2003
Wer bin ich, und was will ich hier?
Im Überfluss sucht der Mensch nach dem Sinn des Daseins, das er im Erlebnis zu finden glaubt
Essay von Gerhard Schulze
Auszug:
Im Lauf der Modernisierungsgeschichte ereignet sich eine heimliche Sinnverschiebung. Das Steigerungsspiel wird von einem habens- und könnensgerichteten Projekt zu einem seinsgerichteten, und damit zu einem Widerspruch in sich selbst. Mit der Entstehung der Erlebnisgesellschaft begann die Idee der Steigerung sich ins Subjektive zu wenden. Eine Form der Rationalität, die zur Optimierung von Maschinenleistungen taugt, sollte nun auch zur Optimierung von Gefühlen, Erlebnissen, Eindrücken, Einsichten, Projekten der Selbstverwirklichung, ästhetischen Ereignissen und körperlichen Empfindungen herhalten. Aber die Steigerungslogik verfehlt ihr Thema, wenn Selbsterkenntnis, Annäherung an Werte, Ankunft und Verweilenkönnen gefragt sind. Sie täuscht Kalkulierbarkeit und Objektivität vor, wo es um die reflexive Entfaltung des Ich geht. Die Steigerungslogik entfesselt die Verschiedenartigkeit der Menschen, aber sie kann ihr nicht gerecht werden. An die Stelle von Sinn tritt eine Sinnillusion - die bloße Vermeidung von Desorientierung.

Wer in seinem Leben nichts erlebt, hat nicht gelebt, so lautet wohl - verkürzt - die Leitthese.

Von frisbee um 20:05h| 0 Kommentare |comment
 

Freitag, 10. Oktober 2003
Wer bin ich - wer will ich sein?
Die Existenzform des immer wieder neu, kreativ und chancenorientiert an seiner Lebenscollage weiterbastelnden Individuums ist – so jedenfalls meine These – weder bloßes Mythologem eines wildgewordenen Kapitalismus, noch unproblematischer Ausdruck neuer Freiheiten und Möglichkeiten. Sie ist vielmehr eine zutiefst ambivalente neue Form des Lebens sowie des Selbst- und Gesellschaftsverständnisses, deren Konsequenzen für Gesellschaft und Politik – und damit auch für die sozial und moralphilosophische Reflexion – heute erst in Ansätzen erkennbar sind.

schreibt Undine Eberlein in ihrem Aufsatz Neue Individualitätskonzepte zwischen Integration und Eigensinn. Sie hangelt sich von der postmodernen Bastelexistenz zum romantischen Individualismus, lotet die Codici narrativer Identitätskonstruktion aus und gibt dem Einzelnen doch eine Chance innerhalb aller gesellschaftlichen Zwänge, zu denen auch der Individualisierungsdruck zu zählen ist.

(Der Text ist harter Tobak für nicht so Soziologie- und Philosophiebewanderte, zugegeben.)

Von frisbee um 00:24h| 2 Kommentare |comment
 

Freitag, 3. Oktober 2003
Sinn des Lebens
Eine gelungene Auseinandersetzung mit dieser Frage gibt Joachim Kahl in dem Aufsatz Die Frage nach dem Sinn des Lebens, der mit Eine philosophische Antwort
aus der Sicht eines weltlichen Humanismus
untertitelt ist.

Es kann auch als Word-File heruntergeladen werden.

Von frisbee um 14:55h| 1 Kommentar |comment
 

Dienstag, 30. September 2003
Selbstmächtigkeit
Der Begriff meint Macht über sich selbst. Und zwar tatsächlich Macht und nicht Herrschaft. Herrschaft wäre die totale Dominanz seiner selbst. Sie wäre dann gegeben, wenn zum Beispiel das Denken die Gefühle total dominieren würde. Das aber ist kein sinnvolles Modell für eine Lebenskunst. Sinnvoller ist es, Macht über sich auszuüben, sich in gewisser Weise also durch das Denken führen zu lassen. Wobei diese Führung aber nie so weit gehen sollte, die Gefühle zu eliminieren. Wenn diese Selbstmächtigkeit nicht gegeben ist, haben Mächte von außen sehr viel größere Zugriffsmöglichkeit auf mich. Man sollte also mit seinen Gefühlen zurechtkommen und das Denken als eine Art Schiedsinstanz begreifen.

Wilhelm Schmid in einem Interview mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt.

Von frisbee um 02:33h| 8 Kommentare |comment
 

Montag, 29. September 2003
Zeitgeist
Unter dieser Rubrik möchte ich auf Gedankengänge aufmerksam machen, die mir einen Denkanstoß gaben. Etwas Vorgedachtes vorstellen, was zum Nach-Denken anregen mag, ohne aufklärerischen, erst recht nicht missionarischen Anspruch. Eher im Sinne einer Einladung und eines Angebots, dem man folgen kann oder auch nicht. Belehren ist ja auch immer Beschämen.

Echte Einsamkeit

Der wichtigste Maßstab scheint heute die Echtheit zu sein. Eine Meinung oder eine Handlung gilt nur dann noch als gut und richtig, wenn sie echt ist, wenn sie authentisch ist. Alles, was ich denke, sage oder mache, muss existentiell und echt sein. Aber was ist das für eine armselige Überheblichkeit, mit der der einzelne in seiner jeweiligen Lage und Laune zum alleinigen Maßstab wird. Was ist das für eine grandiose Selbstüberschätzung, wenn ich es gar nicht mehr für nötig halte, mich an anderen zu orientieren. Und ist es nicht zugleich eine erbärmliche Selbstbeschränkung, wenn ich es gar nicht mehr für möglich halte, mich an anderen zu orientieren? Aber Hauptsache, ich bin echt und authentisch. Das muss genügen. Oder versteckt sich hinter dieser immer und überall so wichtig genommenen Echtheit etwa eine große Einsamkeit, in der wir nur noch uns selbst haben – und sonst nichts.

nach Fulbert Steffensky


- Die Legitimation durch schonungslose Offenheit kommt mir dabei in den Sinn. Man kann dem Gegenüber den härtesten Tobak "vor den Latz knallen" und fühlt sich moralisch durch die zur Schau getragene Ehrlichkeit voll im Recht.
- Mangelnde Rücksichtnahme, fehlende Empathie sind durch diese Form der Authentizität mehr als gedeckt.
- Selbstverwirklichung auf Kosten anderer macht einsam.
- Selbstüberhebliches Handeln, im Vollbewußtsein der eigenen Grandiosität, und schon hat man sich aus der Masse emporgehoben.

Es gäbe sicherlich noch mehr zu sagen und zu schreiben. Der geneigte Leser soll jedoch nicht zum Wanderer durch Bleiwüsten werden. Auf dem Monitor Blei? Nicht wirklich. ;-)

Von frisbee um 21:21h| 9 Kommentare |comment